Dr. Georg Zimmermann im Interview

von Mag. Eva Gottwald

1.      Als Lehrerin für Begabtenförderung habe ich Interesse an deinen Erfahrungen mit unserem Bildungssystem.Welche persönlichen Voraussetzungen braucht man, um einen erfolgreichen Bildungsweg einschlagen zu können? Welche besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten zeichnen dich aus? 

Georg Zimmermann: Zunächst einmal ein starkes persönliches und familiäres Umfeld. Vielleicht gibt es Personen, die es schaffen, auch wenn der menschliche Rückhalt nicht da ist. Davor habe ich großen Respekt. Deshalb halte ich es auch für ein vorrangiges Ziel, dass wir uns anstrengen, diesbezügliche ungleiche Voraussetzungen – so gut es geht -auszugleichen. Das kann übrigens nicht die Schule allein bewältigen, dazu braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Einsatz, das heißt auch, jede*n Einzelne*n. Wenn du nicht völlig blind durch Schule und Studium gehst, dann bekommst du mit, welche Probleme manche Kolleg*innen zu ertragen haben – und was kann denn ein wichtigeres Ziel sein, als diesen Menschen zunächst einmal – so gut es geht – zu helfen? Zuerst einmal müssen wir erreichen, dass es möglichst vielen hinreichend gut geht, erst dann beginnt die Diskussion über Leistung und Exzellenz Sinn zu machen. Spezielle Fähigkeiten fallen mir eigentlich keine ein, es ist eher eine allgemeine Offenheit, die mir, im Nachhinein betrachtet, viele Möglichkeiten eröffnet hat: Ich war in der Schule bei weitem nicht an allen Fächern interessiert, aber ich habe mich immer bemüht, keines der Fächer als pauschal uninteressant abzustempeln. Das habe ich stets beibehalten, auch später an der Uni. Ohne diese Einstellung wäre einiges ganz anders gelaufen – z.B. würde ich jetzt nicht mit Freude im Bereich der Statistik arbeiten: In der Schule und während des Studiums war Statistik der einzige Teilbereich der Mathematik, der mich eigentlich nicht fasziniert hat. Erst durch den persönlichen Enthusiasmus meines späteren Doktoratsbetreuers und ein gemeinsames Projekt an der Uniklinik – und eben meine Offenheit, der Statistik eine “zweite Chance” zu geben! – habe ich dann doch noch diesen Weg eingeschlagen. Und ich habe es bis heute nie bereut!! Das ist nur ein Beispiel von vielen. 

2.      Welche Bedingungen im Schulsystem sind es, die dich dabei unterstützt haben, deine Begabungen zur Entfaltung zu bringen? 

Georg Zimmermann: Schwer zu sagen, am ehesten die Vielseitigkeit des Gymnasiums. Der Begriff “Allgemeinbildung” wirkt vielleicht ein wenig veraltet, aber tatsächlich bekommt man im Gymnasium ein sehr breites Bildungsangebot. Als Schüler war mir das nicht so bewusst, aber offenbar sind doch einige Impulse aus der Schulzeit “hängengeblieben”, die ich dann erst später richtig verstanden und aufgegriffen habe. Zum Beispiel mein Interesse an (antiker) Literatur und Philosophie, in einem Großteil meiner Schulzeit nur begrenzt vorhanden, aber später immerhin zu einem Zweitstudium ausgebaut. Natürlich spielen auch die Personen, die einem eine gewisse Begeisterung vermittelt haben, eine wesentliche Rolle – in diesem Fall meine Deutschlehrer und meine Lateinlehrerin. Natürlich könnte ich hier noch einige weitere Personen in Bezug auf andere Fächer aufzählen! Seit meiner Schulzeit hat sich natürlich auch einiges getan, denn das Begabtenförderungsprogramm stand ja damals erst am Anfang. Es ist schön zu sehen, dass dieses Angebot seitdem sehr aktiv ausgebaut wurde!  

3.      Was hältst du von der Idee, wenn begabte Schüler*innen in sogenannten „D-Zug-Klassen“ den Lehrstoff schneller durchnehmen, um im Rahmen ihrer Interessen mehr Zeit für spezifische Projekte zu haben? 

Georg Zimmermann: Grundsätzlich eine gute Idee, natürlich vorausgesetzt, dass man genügend Schüler/-innen und Ressourcen hat, um tatsächlich eine eigene derartige Klasse einzurichten. Und ich würde es ganz besonders begrüßen, wenn die Begabten bewusst dazu ermuntert – oder sogar verpflichtet – werden, mit den Schüler*innen aus “normalen” Klassen zu interagieren: z.B. könnte man ein System etablieren, in dem die begabten Schüler*innen jenen Jahrgangskolleg*innen, die Probleme haben, Nachhilfestunden geben. Beim “Unterrichten” lernt man selbst unglaublich viel! Und es geht da nicht um eine Ideologie des Gleichmachens, sondern um eine ganz pragmatische Win-Win-Situation – die einen sparen sich die Kosten für die Nachhilfe, die anderen profitieren davon sozial und fachlich. 

4.      Im „Drehtürmodell“ der Begabtenförderung werden Schüler*innen, die ein eigenes Projekt verfolgen, zeitweise aus dem Unterricht genommen. Sie müssen den versäumten Stoff selbständig nachholen. Wie gefällt dir diese Idee? 

Georg Zimmermann: Ich sehe das ebenso wie die “D-Zugklassen” positiv, weil es eine Möglichkeit zur Individualisierung darstellt – in diesem Fall in einem noch stärkeren, wörtlichen Sinn. Ebenso wie bei den “D-Zugklassen” gilt aber auch hier, dass man durch die Förderung der einzelnen Person auch Effekte erzielen kann und soll, die für die Klasse förderlich sind. Als Beispiel: Wenn die / der Begabte die Vorgabe erhält, den Klassenkolleg*innen regelmäßig über die Fortschritte des eigenen Projekts zu berichten, dann haben wir nicht nur eine individuelle Förderung, sondern auch den vielzitierten “Multiplikatoreffekt”. Ganz banal gesprochen: Wenn dir Gleichaltrige etwas über ein spannendes Thema erzählen, kann das manchmal mehr bewirken, als wenn es eine erwachsene Lehrperson tut! Und vielleicht lässt sich so auch Interesse bei ein paar weiteren Schüler*innen wecken.     

5.      Stell dir bitte vor, du hast die Möglichkeit, Bildungsminister zu sein und die Systeme Schule und Universität zu optimieren. Welche Änderung würdest du als erste umsetzen? 

Georg Zimmermann: Ich würde nichts “optimieren”, sondern umgekehrt genau diesen Druck aus dem System herausnehmen. Ich meine damit: Wir haben in den letzten Jahren eine sehr rasche Abfolge von Diskussionen und Maßnahmen gesehen, die alle sehr stark in der medialen Öffentlichkeit präsent waren. Da wird von außen ganz viel in die Schule hineingetragen, was in dieser Intensität eher schadet als hilft – wiederkehrende Diskussionen, wer bei welcher Matura besonders schlecht abgeschnitten hat, welche Rahmenvorgaben man erfüllen muss, was auf Lehrerseite alles schlecht läuft, usw.  Breite Diskussionen und darauf basierende Reformen sind grundsätzlich etwas Gutes. Aber wenn man an den Rädern eines Systems schraubt, muss man dem System dann genügend Zeit und Ruhe geben, um zu sehen, welche Änderungen sich bewähren und welche nicht. Im Übrigen bin ich auch kein Kritiker von PISA & Co generell – nur haben sich die Interpretation und deren Bedeutung zu stark verselbstständigt. Es ist ein (durchaus gutes!) Werkzeug, um Fähigkeiten in ganz bestimmten Bereichen zu beurteilen, nicht mehr und nicht weniger! Also: Ich würde als Bildungsminister zunächst einmal bewusst gar nichts tun, um die teils recht hitzig geführten, periodisch wiederkehrenden Diskussionen etwas zu beruhigen. Allein das Wegfallen dieses Drucks von außen wird schon eine gewisse wahrnehmbare Verbesserung bewirken. Und ich würde zu den Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern sagen: Setzt euch an einen Tisch, lasst eure Vorurteile draußen vor der Tür und überlegt euch gemeinsam kleine Schritte, mit denen alle gut leben können – so wie wir das damals im “Mission-Possible”-Projekt versucht haben.  

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